Kommentar zur aktuellen Lünendonk-Studie "Mit S/4HANA in die digitale Zukunft"
Die Lünendonk-Studie zu S/4HANA aus 11/2019 gibt Aufschluss über Status, Ziele und Trends bei der Einführung von S4/HANA in ca. 150 Unternehmen im deutschsprachigen Raum. Timm Scheibach, Principal Consultant bei microfin, hat die wichtigsten Erkenntnisse herausgefiltert, kommentiert und mit Praxiserfahrungen angereichert.
Die S/4HANA-Transformation lässt viel Luft nach oben!
Der Wechsel zu S/4HANA – sei es auf Basis einer rein technischen Migration oder eines funktionalen Redesigns – wird nur zögerlich umgesetzt. 52 % der Unternehmen sind noch in der grundsätzlichen Findungsphase. Und dies trotz des bis vor Kurzem von SAP angedrohten Wartungsende der ERP-Produkte SAP ECC und SAP R/3 in 2025. Viele Kunden fokussieren ihre IT-Budgets lieber auf gezielte Digitalisierungsprojekte statt einer Runderneuerung der Backend-Systeme.
Zusätzlich wurden die Vorstände einiger unserer Kunden direkt von SAP angesprochen, was nicht überall gern gesehen war. Dabei wurden vergünstigte Konditionen für die neue Welt angeboten – im Tausch gegen ein langfristiges Commitment für SAP. Offensichtlich hat auch diese Maßnahme nicht genug Kunden zu S/4HANA getrieben. Vermutlich ist es SAP auch nicht gelungen, die Mehrwerte einer S/4 HANA Migration deutlich genug aufzuzeigen bzw. kann nicht jedes Unternehmen von potenziellen Vorteilen profitieren.
Die im Februar angekündigte Verlängerung der Wartung auf 2027 wird etwas "Druck vom Kessel" nehmen – reflektiert aber auch die Marktrealitäten, auf die SAP erst spät reagiert hat. Zu den Marktrealitäten gehört, dass sich Kunden nicht gerne zu riskanten und aufwändigen Migrationsprojekten zwingen lassen, wenn es um ihr "Tafelsilber" in der IT geht, auf dem viele kritische Geschäftsprozesse basieren. Auch dies verstärkt den Trend, dass laut Studie der Zeitdruck dazu führt, dass Unternehmen nur technisch migrieren.
Das Delivery-Modell – eher Private statt Public
Der Studie zufolge entscheidet sich der überwiegende Teil der Unternehmen für On-Premise und die Private Cloud als Delivery-Modell. Beide Modelle sind seit Jahren erprobt und für die Unternehmen "vertrautes Gelände". Nur langsam ziehen hier die Hyperscaler nach – anders als in "agileren" Applikationswelten der Unternehmen, wo Hyperscaler bereits einen festen Platz haben. Nicht überraschend findet man auch hier Microsoft Azure und AWS auf den vorderen Plätzen. Bei unseren Kunden sehen wir, dass beide ihre Stärken im SAP-Umfeld haben – die finale Auswahl ist abhängig von den jeweiligen Anforderungen und Workloads und natürlich von der übergreifenden Cloud-Sourcing-Strategie des Unternehmens. Microsoft Azure bietet im direkten Vergleich eine mehr kundenfokussierte SAP-Technologieberatung in Deutschland an.
Interessanterweise wird die SAP Cloud laut der Studie noch wenig genutzt. Selbst wenn SAP bei vielen Transformationsprojekten mit Beratungsleistungen beteiligt ist, scheint der Betrieb einer kritischen Basis-Infrastruktur aus Kundensicht keine Kernkompetenz der SAP zu sein.
Einige unserer Kunden wählen das Delivery-Modell über ein Wettbewerbsverfahren aus, wobei viele Aspekte ergebnisoffen bewertet werden. Dabei bieten immer mehr "klassische" Service Provider, die bisher nur eigene Private oder Community Clouds betrieben, inzwischen auch Managed Services auf Basis von Hyperscalern an. Wir sehen hier im Markt in den letzten 24 Monaten rapide Veränderungen, z.B. hat sich T-Systems erst in 2018 den Hyperscalern geöffnet. Als Sourcing-Spezialist empfehlen wir, die Referenzen und den Umfang der SAP-Basis-Kompetenz für jedes Delivery-Modell zu prüfen.
S/4HANA bedingt externes Know-how
Vielen Unternehmen fehlt das Prozess-Know-how für den S/4HANA-Standard sowie Kompetenzen für eine ausgereifte IT-Architektur. Wie in anderen IT-Domänen wird dies extern zugekauft.
Dabei sind Engpässe bei Beratungshäusern und Implementierungspartnern bereits jetzt zu spüren und werden laut der Studie ab 2022 erheblich zunehmen. Dies wird unweigerlich Tagessätze für SAP-Spezialisten in die Höhe treiben und Projekte weiter verteuern. Beim "War of Talent" wird so mancher Mittelständler das Nachsehen haben und sich in eine noch stärkere Abhängigkeit zu Schlüsselpartnern begeben müssen, wenn er dies nicht mit einer flexiblen Sourcing-Strategie umgeht, die auf hochstandardisierte Services aufsetzt und den Wettbewerb optimal nutzt.